Das „Schaufenster Stadtgeschichte“ präsentiert einmal im Monat ein besonderes Dokument oder Objekt aus den Beständen des Stadtarchivs – Bochumer Zentrum für Stadtgeschichte. Auf diese Weise werden nicht nur historische Ereignisse oder Persönlichkeiten vorgestellt. Das „Schaufenster Stadtgeschichte“ gewährt auch einen Einblick in die bunte Vielfalt der historischen Zeugnisse, die zum kulturellen Erbe Bochums gehören und die im Stadtarchiv – Bochumer Zentrum für Stadtgeschichte verwahrt werden.
Im Juli geht es um die „Eidesstattliche Erklärung der Alice Viralt vom 14. Dezember 1952“. Interessierte können die Exponate auch im Stadtarchiv – Bochumer Zentrum für Stadtgeschichte, Wittener Straße 47, besichtigen. Der Eintritt ist frei. Weitere Informationen gibt es im Internet unter www.bochum.de/stadtarchiv.
Alice Viralt war von 1919 bis zu dessen Tod 1933 mit dem Bochumer Oberbürgermeister Dr. Otto Ruer verheiratet. Infolge ihrer finanziellen Notlage im finnischen Exil beantragte sie 1952 im Zuge eines so genannten „Wiedergutmachungsverfahrens“ die Zahlung eines Witwengeldes für das ihr und ihrem Ehemann durch die Nationalsozialisten zugefügte Leid. Aufgrund einer „Nervenzerrüttung, hervorgerufen durch die Verfolgung durch die Nationalsozialisten“, habe sich ihr Mann durch eine Überdosis Veronaltabletten das Leben genommen, schildert Viralt in der eidesstattlichen Erklärung vom 14. Dezember 1952, die ihrem Antrag auf Wiedergutmachung beiliegt (BO 11/239). Nach mehreren Tagen Bewusstlosigkeit starb Ruer am 29. Juli 1933. Im Dezember 1938 ging sie eine Scheinehe mit dem Presseattaché der finnischen Botschaft, Eric Woldemar Viralt, ein, um der Lebensgefahr, in der sie sich wegen ihrer jüdischen Religionszugehörigkeit in Deutschland befand, zu entkommen und nach Finnland fliehen zu können.
Dr. Otto Ruer, geboren am 5. Januar 1879 in Münster, machte sich als besoldeter Stadtrat in Kiel von 1914 bis 1920 einen Namen, so dass er als Ministerialrat in das Reichsministerium des Inneren berufen wurde. Auf eigenen Wunsch begab er sich 1924 nach Bochum und wurde dort im Oktober zum Oberbürgermeister gewählt. In seine Amtszeit fielen unter anderem 1926 die Eingemeindung zahlreicher neuer Stadtteile sowie der Bau des heutigen Rathauses, der einige Kritik auf sich zog. In seiner Amtszeit gelang es Ruer, Bochum als eine kulturelle Großstadt zu profilieren.
Als Demokrat jüdischen Glaubens war Ruer den Nationalsozialisten ein Dorn im Auge. Im Frühjahr 1933 wurde eine Hetzkampagne in der Zeitung „Rote Erde“ gegen ihn gestartet, deren Hauptredakteur und späterer Oberbürgermeister Dr. Otto Piclum nun auch als Staatskommissar mit der Prüfung der Akten der Stadtverwaltung beauftragt war. Unter Verwendung von aus dem Kontext gerissenen Zahlen und falschen Behauptungen warf er Ruer die Verschleuderung städtischer Gelder zum Privatvergnügen vor und strengte ein Dienststrafverfahren gegen ihn an. Der Unmut in der Bevölkerung wuchs, schließlich wurde Ruer am 13. März 1933 regelrecht aus dem Rathaus getrieben. Ruer, am Boden zerstört, begab sich nach Berlin, wurde dort jedoch kurze Zeit später wegen „Verdunkelungsgefahr“ festgenommen und im Sammeltransport nach Bochum gebracht. Da die Vorwürfe aber haltlos waren, wurde er wenige Wochen später freigelassen. Er kehrte Bochum für immer den Rücken und nahm sich schließlich drei Monate später in Berlin das Leben.
Alice Viralt starb nur wenige Monate nach Ablegen dieser eidesstattlichen Erklärung am 29. März 1953 arm und einsam in Helsinki. Erst drei Tage zuvor hatte die Stadt Bochum den Beschluss gefasst, ihr aus „Billigkeitsgründen“ 75 Prozent des jeweiligen gesetzlichen Witwengeldes zu gewähren.
Quelle: Stadt Bochum